Christian Zündel gehört zu den Revolutionären des Tessiner Weinbaus. Dabei wollte der studierte Geologe anfangs Gemüse anbauen. Dass daraus nichts wurde, ist ein großes Glück. Jüngst lässt er die Zügel im Weinberg und Keller etwas lockerer und seiner Tochter Myra viel Freiraum.
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VON AXEL BIESLER
Sie kennen Merlot? Jene Rebsorte, die es zu Welterfolg gebracht hat, weil ihre Weine verlässlich weich, fruchtig und vollmundig ausfallen. Egal aus welchem Erdenteil sie kommen. Merlot hat es zum Gattungsnamen für softe Rotweine gebracht. Natürlich bestätigen Ausnahmen wie immer die Regel. Im nur rund 1.100 Hektar kleinen Anbaugebiet Tessin wächst Merlot bereits seit rund 100 Jahren. Wenn der Anbau weißer Sorten wie etwa Chardonnay in letzter Zeit auch zugenommen hat, steht der Merlot im südlichsten Teil der Schweiz doch bis heute mit einem Anteil von rund 80 Prozent klar an erster Stelle. Das Mittelmeer liegt zwar noch in weiter Ferne, doch das Klima im Tessin ist deutlich mediterran geprägt, wofür nicht zuletzt die regulierenden Faktoren von Largo Maggiore und Luganer See Sorge tragen.
Als es den Deutschschweizer und studierten Bodenkundler Christian Zündel vor über 40 Jahren in diese bisweilen wildromantische Gegend zog, besaß der Tessiner Merlot das Image eines ordentlichen Zechweins. Hochwertige Weine mit Reifepotenzial waren eher die Ausnahme als die Regel. Zündel war anfangs nicht sonderlich am Weinbau interessiert. Er versuchte sich an der Kultivierung von Kartoffeln und Spargeln. Mit mäßigem Erfolg. Der sicherlich auch dem Umstand geschuldet war, dass seine Flächen von Anfang an sehr klein und weitverstreut in der Gegend herumlagen. Jede seiner Mikroparzellen wies eine andere Bodenstruktur und Mineralzusammensetzung auf. Zündel begrub das Projekt Spargel und Kartoffel und begann sich am Wein zu versuchen. Mitte der achtziger Jahre kelterte er seinen ersten Merlot. Ganz schlecht sei der nicht gewesen, sagt Zündel heute. Doch wohin ihn seine Weinreise führen würde, wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.Die »fetten Schnecken« sorgten damals für viel Aufsehen in der Weinszene
Ende der neunziger Jahre, als fette und fruchtüberbordende Merlots gerade en vogue waren, konzentrierte Zündel seine Weine mit einem Gerät, das sich Vakuumverdampfer nennt und dem Most möglichst viel Wasser entzieht, damit der Wein umso gewaltiger wird. Die »fetten Schnecken« sorgten damals für viel Aufsehen in der Weinszene. Auch die von Zündel. Gehalten haben sie sich nicht. Zündel setzte sich fortan mit alternativen Anbaumethoden auseinander, pflanzte Rebsorten unterschiedlicher Klone, ließ seine Moste spontan vergären und mottete seine Konzentrationsmaschine irgendwann ein. Aus Hightech wurde Lowtech. Die Weine gerieten in jedem Jahr feinsinniger, mineralischer, sicher auch fordernder. Fragt man Zündel nach seiner Philosophie, antwortet er lakonisch: »Geduld und eine sanfte Arbeitsweise.« Marktschreierisches Getue liegt ihm nicht. In der Öffentlichkeit bekommt man ihn nur selten zu Gesicht. Seine Weine indes zählen den feinsten des gesamten Anbaugebiets und sind weit über die eigenen Grenzen bekannt.
Freigeister, die aus sich selbst heraus entstehen dürfen
Wenn der Tessiner Merlot heute einen hervorragenden Ruf besitzt, hat Zündel einen gehörigen Anteil an dieser Entwicklung. Sein »Terraferma« gehört zu den großen Klassikern Tessiner Weine und widerlegt so ziemlich jedes Vorurteil, das man über Merlot haben kann. Freilich hat der Wein auch Frucht, doch die ist niemals eingekocht oder plakativ, sondern ebenso reif wie frisch, wird stets begleitet von feinwürzigen Aromen und einer geradewegs subtilen Textur. Es ist überdies ein Rotwein, der wunderbar heranreifen darf und das manchmal sogar muss, weil er einen kühlen, milden oder heißen Jahrgang schonungslos widerspiegelt.
Gleiches gilt für Zündels Chardonnay, bei dem manch unbedarfter Zecher bass erstaunt sein mag, wie säureagil und kräuterherb die Weine aus dieser weltberühmten Sorte geraten können. In der Weinfachwelt ist oft von sogenannten Leitaromen die Rede. Also jene Konzentration von Geruchs- und Geschmacksstoffen, die besonders typisch für Weine aus einer Rebsorte sein sollen. Da werden Kirsche, Pflaume oder Schokolade dem Merlot zugeordnet, während beim Chardonnay Ananas, Vanille oder Zitrone nicht fehlen dürfen. Zündel hat sich aus diesem Geschmackskorsett längst befreit. Seine Weine wollen und sollen sich nicht festlegen lassen. Es sind Freigeister, die aus sich selbst heraus entstehen dürfen: vom Austrieb bis zur Lese, von der Gärung bis zur Füllung. Zündel begleitet seine Weine und erzieht sie nicht.Mit der Rente hat er nichts am Hut
Beim Aufwachsen ihrer Kinder haben es Zündel und seine Frau Anne de Haas womöglich ebenso gehalten. In einem Interview mit einer Schweizer Tageszeitung beschreibt sich die 28-jährige Myra Zündel als »instinktiv arbeitende Künstlerin«. Nach abgeschlossener Winzer-Ausbildung und diversen Praktika im In- und Ausland ist sie nun wieder zuhause angekommen und wird von den Erfahrungen ihres Vaters gewiss noch viele Jahre profitieren können. Denn Christian Zündel war es wichtig, seine Nachfolge geregelt zu wissen, mit der Rente dürfte er aber dennoch nichts am Hut haben. Den nämlich setzt er als Sonnenschutz lieber weiterhin auf seinen Kopf, wenn er im Frühling und Sommer in seinen Weingärten unterwegs ist.
Axel Biesler (Webseite)
Lernte das Winzerhandwerk in Baden beim Weingut Bercher und arbeitete in Australien, im Kaiserstuhl und im Breisgau. Dann Sommelier bei Christina Fischers Weingenuss & Tafelfreuden in Köln. Schrieb für Publikationen wie das Slow Food Magazin, Vinum oder Weinwisser und machte sich 2006 mit dem Thema Wein selbstständig. 2013 wirkte er an der Konzeption des Falstaff Weinguides mit, den er bis zur Ausgabe 2018 als Chef vom Dienst und Leiter der Kölner Verkostungs-Panels betreute. 2018 und 2019 verantwortete Biesler die Region Rheingau im Gault&Millau Weinguide. Er lebt, schreibt und trinkt im Umland von Hannover.