Weinkolumne von Axel Biesler: HEIMAT OHNE HERKUNFT


Der burgenländische Winzer Martin Pasler gehört sicherlich zu den Rebellen seiner Zunft. Was er auch anfasst, mag auf den ersten Blick bisweilen kurios erscheinen. Doch es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Martin Pasler steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden – auch auf dem eigenen.   

VON AXEL BIESLER

Einmal staunten Mundschenk und Gast nicht schlecht, als aus der soeben bestellten Flasche Chardonnay kein weißer, sondern ein rosaroter Tropfen floss. An seinem Geschmack indes gab es überhaupt nichts auszusetzen, darüber waren sich beide schnell einig. Hinter dem eigenwillig kolorierten Weißwein steckte der burgenländische Winzer Martin Pasler oder vielmehr ein klitzekleines Schlückchen Rotwein, das sich einst irgendwo zwischen Tank und Füller verirrt hatte und dem Chardonnay seine außergewöhnliche Farbe verlieh. Martin Pasler lacht, als er die Anekdote hört: »Sachen gibt’s, die sollten man nicht für möglich halten.« Und ganz sicher kann man sich nicht sein, wie er das wohl meint. Martin Pasler fixiert sein Gegenüber gern mit zugekniffenen Augen und einer Mimik, die sowohl Feixen als auch Schmunzeln ausdrücken könnte.

Ein Beinbruch sei das mit dem rosaroten Chardonnay damals nicht für ihn gewesen. »Es waren ja nur etwa 30 Liter von dem Malheur betroffen«, sagt er. Die Flaschen landeten allerdings in etwa ebenso vielen Kartons, was die Angelegenheit umso kurioser machte. Mit den betroffenen Gastronomen und Händlern habe er sich schnell und gütlich einigen können. Was sicherlich auch seiner unnachahmlich herzhaften Art zu verdanken ist, die aus einem Elefanten spielend eine Mücke machen könnte, ohne dass das Gesagte irgendjemand unpassend oder unglaubwürdig vorkommen würde. Umgekehrt wird ihm das vermutlich schwerer fallen. 

Die Sicht auf und die Einsicht in die Naturkreisläufe sind fast vollkommen verloren gegangen

Martin Pasler steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden, auch auf dem eigenen. Besonders auf dem, denn der sorgt nicht nur für seinen Lebensunterhalt, sondern ist gewissermaßen auch der Ursprung seiner Weinleidenschaft. »Uns Winzern wurde doch so lange eingetrichtert, dass es ohne Chemie in Weinberg und Keller schlicht unmöglich ist, qualitativ hochwertige Weine zu erzeugen, dass wir es am Ende alle geglaubt haben«, sagt er. Die Sicht auf und die Einsicht in die Naturkreisläufe seien dabei fast vollkommen verloren gegangen. Er fragt sich, »warum sich ein Winzer für die Zusammenhänge in der Pflanzenwelt interessieren soll, wenn über allem doch die strikte Einhaltung eines Spritzplans steht, der fast im Alleingang für reife und gesunde Trauben sorgt.«

Als er sich vor rund 20 Jahren dazu entschloss, seine Weinberge auf eine biologische Bewirtschaftung umzustellen, dauerte es acht Jahre bis zur Zertifizierung und damit fast dreimal so lang wie normalerweise üblich. »Ökologisch habe ich während dieser Zeit bereits gearbeitet, doch ein Hintertürchen wollte ich mir lange offenlassen«, meint Martin Pasler. Als seine Weinberge selbst ein vergleichsweise kühles und ungewöhnlich feuchtes Jahr wie 2008 nicht nur schadlos überstanden, sondern auch reife und gesunde Trauben hervorbrachten, war das Bio-Siegel dann endgültig beschlossene Sache.

Es geht ihm nicht darum, Krankheiten zu bekämpfen, sondern darum, die Reben zu stärken

Inzwischen arbeitet der burgenländische Winzer mit den Methoden der biologisch-dynamischen Landwirtschaft, weil er der Überzeugung ist, dass alles mit allem zusammenhängt – auch im Weinbau. Es geht ihm nicht darum, bestimmte Krankheiten mit bestimmten Mitteln zu bekämpfen, sondern vielmehr darum, die Reben mit natürlichen Präparaten so zu stärken, damit sie Krankheiten selbst und aus sich heraus abwehren können. 1992 hat Martin Pasler die volle Verantwortung für den elterlichen Betrieb übernommen, dessen Kernlagen im kalk- und schieferreichen Leithaberg, am Westufer des Neusiedlersees, liegen.

Das rund 3000 Hektar große Anbaugebiet dürfte zu den ältesten in Mitteleuropa gehören. Wenn die römischen Berichterstatter ihre keltischen und unfreiwilligen Gastgeber gerne in ein primitives Licht gerückt haben, die ihren unstillbaren Durst nach Rausch ausschließlich mit Met und Bier gelöscht haben, beweisen die Funde keltischer Hügelgräber aus dem achten Jahrhundert vor Christus im Leithagebirge das Gegenteil: Unter den Grabbeigaben fanden sich auch jede Menge Traubenkerne, die den Schluss zulassen, dass der Kelte dem Weingenuss durchaus zugeneigt war.

»Zwischen dem 18. und dem 20. Jahrhundert gehörten die Weine vom Leithaberg zu den gefragtesten Gewächsen überhaupt.« Martin Pasler

»Zwischen dem 18. und dem 20. Jahrhundert gehörten die Weine vom Leithaberg zu den gefragtesten Gewächsen überhaupt«, sagt Martin Pasler. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Auflösung der Donaumonarchie wurde das Burgenland zwischen Österreich und Ungarn aufgeteilt, wodurch der Handel fast vollkommen zum Erliegen kam und der burgenländische Wein für lange Zeit in Vergessenheit geriet. Heute gehört der Leithaberg zu den 13 österreichischen Weinbauregionen mit einem Districtus Austria Controllatus-Status (DAC) für besonders gebietstypische Weine, die allerdings an bestimmte Rebsorten geknüpft sind, wenn sie den DAC-Titel tragen wollen.

Und Pasler wäre nicht Pasler, wenn er nicht auch dazu eine eigene Meinung hätte: Ein hervorragender Wein, davon ist er überzeugt, sei weit weniger von der Sorte geprägt als etwa von den Böden oder dem Alter der Rebstöcke. Sein Welschriesling wächst auf schiefrigen Kalkgestein und lässt keinerlei Vergleiche mit einer Sorte zu, deren Gewächse in Österreich als »Spritzer« bekannt sind und keinen besonders noblen Ruf besitzen. Als DAC-Leithaberg ist die ertragreiche Varietät jedenfalls nicht zugelassen, wird ihr Wein dennoch vermarktet, trägt er die nächstgrößere Herkunft »Burgenland« auf dem Etikett. Dabei weist Martin Paslers zart-cremiges und fein-salziges Exemplar durchaus die eine oder andere aromatische Parallele zum Burgund auf, ist also alles andere als ein gewöhnlicher Zechwein. 

Mit seinen rund 40 Lenzen dürfte Martin Paslers Welschriesling-Wingert zu den ältesten in Österreich gehören

Mit seinen rund 40 Lenzen dürfte Paslers Welschriesling-Wingert zu den ältesten in Österreich gehören, die in aller Regel gerodet werden, sobald ihr Ertrag einmal nachlässt. Um hervorragende Weine geht es dabei freilich nicht. Denn mit dem Alter der Weinberge werden meist nicht nur die Ernten, sondern auch die Beeren kleiner, was zu einem Verhältnis zu Gunsten der Schale führt, in der bekanntermaßen viel mehr Aromen als im Saft stecken. »Dazu kommt, dass die Reben durch die biologisch-dynamische Bewirtschaftung wieder Verantwortung für sich übernehmen müssen, und kleine dickschalige Beeren sind eben weitaus widerstandfähiger«, sagt Martin Pasler.

Tatsächlich zeigen sich durch Überdüngung aufgequollene und dünnhäutige Früchte weitaus krankheitsanfälliger und sind ohne entsprechende chemische Behandlungen kaum überlebensfähig. Ein Teufelskreislauf. Exzellenter Wein steht für Martin Pasler immer in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Erhaltung und Stärkung eines sich selbst erhaltenden Ökosystems, einem Organismus als existentieller Einheit. »Das ist die Essenz großer Weine«, sagt er.

Martin Pasler ist auf der Suche nach dem besten Wein

Dass eine Vielzahl der besten Weine der Welt nach biologisch-dynamischen Grundsätzen erzeugt werden, habe ja weniger mit Marketing als mit der Überzeugung zu tun, dass sich mit diesen Methoden einfach die besseren Gewächse erzeugen lassen. Martin Pasler ist auf der Suche nach dem besten Wein. Ob der ihm schon einmal gelungen ist? »Natürlich nicht«, antwortet er, »sonst könnte ich ja nicht mehr nach ihm suchen, und da würde es mir fad werden.« Und guckt dabei wieder so, dass man sich gleichfalls auf den Arm genommen wie verstanden fühlt.

Bei den Weißen ist es sicherlich der Chardonnay, dem er die besten Chancen für einen großen Wein aus den Gefilden des Leithabergs einräumt. Bei den Roten setzt Martin Pasler in letzter Zeit neben dem Lokalpatrioten Zweigelt vermehrt auch auf Merlot. »Der Blaufränkisch kommt mit dem Klimawandel prima zurecht, aber Grüner Veltliner und Zweigelt bekommen zunehmend Probleme, da werden wir um ein Umdenken bei den Sorten gar nicht herumkommen«, befürchtet er.

Herkunft und Heimat, so steht zu vermuten, werden beim Wein hinkünftig ganz anders verortet werden

Womit Martin Pasler quasi das gesamte DAC-System infrage stellt, wenn sich das Klima in einem Gebiet immer schneller verändert und die Erzeugung eines typischen Weines umso schwieriger macht, je enger eine Region an strikte Regularien gebunden ist. Herkunft und Heimat, so steht zu vermuten, werden beim Wein hinkünftig ganz anders verortet werden müssen. Martin Pasler hat sich für diese Veränderungen ein flexibles Rüstzeug geschaffen, an dem er unentwegt tüftelt. Ob er den Begriff »Heimat-Wein« überhaupt jemals für glücklich gehalten hat, darf an dieser Stelle bezweifelt werden. In seinen Augen muss ein Wein in aller erster Linie Exzellenz besitzen. Und die hat zunächst einmal nichts mit seiner Herkunft zu tun.   

Die Weine von Martin Pasler findest du hier.

Fotos: Weingut Martin Pasler