Die Harmonielehre von Speise und Wein zählt zu einer vergleichsweisen jungen kulinarischen Disziplin. Während früher die Verträglichkeit eines Weines mit einer Speise im Zentrum der gastrosophischen Literatur stand, ist es heute der vermeintliche Genuss. Doch lassen sich beide voneinander trennen?
VON AXEL BIESLER
Die Geschmackslehre von Speise und Wein ist ein vergleichsweises junges Phänomen. Sie kam eigentlich erst auf, als Louis Pasteur Mitte des 19. Jahrhunderts die alkoholische Gärung erforschte und damit auch dem Wein im Laufe der Zeit einen gehörigen Teil seiner Mystik nahm. Das Geheimnis, woher der Geist des Weines kommt, war irgendwann vollends gelüftet, der Alkohol wurde als Zellgift entlarvt und schließlich entsprechend gegeißelt. Davor galt der Saft aus mehr oder weniger vergorenen Trauben als ein Allheilmittel und durfte in keinem Apothekerschrank fehlen.
Die Quellen darüber, welche Weine zu welchen Gebrechen am besten wirken, sind bis dahin ebenso zahlreich wie nur wenige Schriften darüber zu finden sind, warum etwa ein kräftiger Rotwein besser zu einem gegrillten Stück Fleisch schmeckt als ein leichter Weißer. Wenn überhaupt von einer gelungenen Kombination aus Wein und Speise die Rede war, zielte die meist auf die Bekömmlichkeit ihrer Komponenten ab. Als regelrechter Wein-Guru machte der Rheingauer Arzt und Winzer Stephan Oellers (1832 bis 1908) von sich Reden, der bei Appetitlosigkeit ein Rezept für einen »Schloss Vollraths« und bei anhaltender Depression eines für den »Kiedricher Gräfenberg« ausgestellt haben soll. Wein war vielmehr Therapeutikum als Speisenbegleiter. Die Spitäler gönnten ihren Patienten eine meist großzügig bemessene Ration Wein am Tag. Die versprach Genesung, dürfte zu gleichen Teilen aber auch Genuss bedeutet haben.
In der Fernsehsendung »Das perfekte Dinner« wird Wein nicht zum Essen, sondern meistens drumherum oder danach getrunken
Was die Frage aufwirft, ob Bekömmlichkeit und Gaumenfreude nicht in unmittelbarer Beziehung zueinanderstehen. Per Gesetz dürfen wir Wein heutzutage zwar genießen, als bekömmlich darf er laut Entscheid des Europäischen Gerichtshofs seit einigen Jahren nicht mehr angepriesen werden. Die Zeiten, da Wein als Heilmittel galt, sind lange vorbei. Er soll höchsten Genuss, einen einzigartigen Geschmack bieten und gemeinsam mit einer Speise eine perfekte Harmonie an den Gaumen bringen. Unzählige Veröffentlichungen arbeiten sich an diesem Thema ab – doch kommen die tatsächlich an und sind letztlich auch zielgerichtet? Zu einem der bekanntesten Formate im deutschen Koch-Fernsehen zählt die seit über 15 Jahren auf dem Privatsender Vox ausgestrahlte Sendung »Das perfekte Dinner«.
Dabei bekochen die Teilnehmer abwechselnd ihre Gäste, deren Drei-Gänge-Menüs von ihnen am Ende auf einer Skala von 0 bis 10 Punkten bewertet werden. Dem Gewinner winken 3.000 Euro. Und weil es sich mittlerweile auch hierzulande herumgesprochen hat, dass ein Wein zum Essen eine gute Wahl ist, halten die Gastgeber meist ein paar Sorten bereit. Doch kommt es nur selten vor, dass sich die Geladenen im Verlauf des Dinners darüber unterhalten, ob ein Wein zu einer Speise harmoniert oder eben auch nicht. Über ein: »Der ist aber lecker«, gehen die Kommentare nur selten hinaus. Tatsächlich sieht man die Teilnehmer viel öfter vor dem Essen, in den Pausen, bei der Punktevergabe oder während des Ausklangs aus ihren Weinkelchen trinken. Drumherum statt zusammen. Sollte sich dennoch einmal ein leidenschaftlicher Wein und Speise-Experte in die Runde verirrt haben, wird der gerne – ob zu Recht oder Unrecht – der Besserwisserei bezichtigt und mit Punkteabzug bestraft.
Vielleicht machen wir es uns manchmal auch einfach zu schwer
Mag der Weingenuss auch in der jüngeren Generation wieder angekommen sein, eine harmonische Verbindung von Wein und Speise zu kreieren, gehört auf den Tafeln der Deutschen bis heute zu einer Randerscheinung. Essen und Trinken sind hierzulande zwei verschiedene Paar Schuhe, die auf eine simple Regel heruntergebrochen werden könnte: Wir trinken, wenn wir durstig sind oder uns einen Rausch antrinken möchten und essen, wenn uns Appetit oder Hunger überfällt. Daran ist nichts auszusetzen. Doch mit der Selbstverständlichkeit, wie in Italien oder Frankreich, Wein und Speise gemeinsam genossen werden, fremdeln wir. Was sicherlich auch mit der besonderen kulturellen Stellung zusammenhängt, die Essen und Trinken in diesen Ländern genießen.
Vielleicht machen wir es uns hierzulande auch einfach zu schwer. Einige wenige Erfahrungen reichen aus, damit Wein und Speise zu einem Einklang werden – oder und viel treffender gesagt: einfach gut zusammen schmecken. Dabei ist es zunächst einmal hilfreich, dass der Wein seinen Zechern auch schmeckt. Die schönste Harmonie von Speise und Wein ist am Ende wenig wert, wenn ihr Konsument viel lieber Bier trinkt. Wer bei der Suche nach einer geeigneten Kombination von Speise und Weine gängige Suchmaschinen füttert, wird womöglich ebenso unbefriedigende Ergebnisse finden, wie derjenige, der bei einer körperlichen Malaise schon einmal nach deren Symptomen und Ursachen im Netz geforscht hat: Schlauer wird er am Ende eher selten. Unsicherer aber mit ziemlicher Sicherheit. Informationsoverkill bringt selten etwas Nützliches hervor, kostet aber viel Zeit und hält den Suchenden an einer unendlich langen Leine. Der Genuss bleibt auf der Strecke.
Die Garmethode beeinflußt den Geschmack maßgeblich
In einem Netzfund zu diesem Thema heißt es etwa: »Kritisch für die Weinauswahl sind zum Beispiel Gemüsebeigaben, wie Karotten oder Erbsen, die vielfach leicht süßlich schmecken. (…).« Soll das etwa bedeuten, dass zwei glacierte Karotten oder eine halbe Handvoll gedünstete Erbsen als Gemüsebeilage massiven Einfluss auf den (Wein)-Genuss nehmen? Und womit haben wir es auf dem Teller neben den Problemerbsen und -Karotten eigentlich zu tun – Ochsenschwanzragout oder Fischstäbchen? Das Netz fließt über mit Ratschlägen, warum sich die Geschmacksarten süß, sauer, salzig, bitter und neuerdings auch umami mit einem Wein köstlich vertragen und zu einem anderen wiederum als ungenießbar beschrieben werden.
An den Regeln kann etwas dran sein. Doch tragen ihre zuweilen imperativen Ausdrucksweisen zum Genuss nur selten bei. Wir pochieren, kochen, braten, schmoren oder grillen. Ob Fisch, Fleisch oder Gemüse. Die Zubereitungsarten beeinflussen maßgeblich den Geschmack eines Produkts und damit auch das Zusammenspiel mit einem Wein. Ob zu einem Gericht, in dessen Mittelpunkt etwa ein Stück Fisch oder Fleisch steht, noch zwei Karotten oder ein paar abgezählte Erbsen gereicht werden, spielt aromatisch letztendlich keine bedeutsame Rolle mehr.
Dabei steht es jedem frei, seine Harmonielehre auf die persönliche Spitze zu treiben und selbst dem kleinsten Klecks Sauce noch jene Nuance beizumessen, mit dem er seine Paarung von Wein und Speise zu letzter Vollendung bringen möchte. In welchem Ausmaß ein Hobby gelebt wird, soll hier aber ebenso wenig Thema sein, wie die Arbeit hochdekorierter Köche und Sommeliers näher unter die Lupe zu nehmen, deren großartige und bis ins kleinste Detail verliebte Arbeiten dazu beitragen, ihren Gästen größten Genuss zu servieren.
Wir kochen ebenso unterschiedlich, wie wir schmecken
Für den Hausgebrauch genügen einstweilen wenige grundsätzliche Grundlagen aus Küche und Keller, die zu beherzigen bei der Weinauswahl behilflich sein könnten. Die erste und wichtigste lautet: Finger weg von Google & Co. Zigtausend Ergebnisse verwirren mehr, als dass sie klüger machen. Die zweite ist ebenso simpel: Wer keinen Wein mag, muss ihn auch zum Essen nicht plötzlich gernhaben. Wenn es in der Kochbuch-Ratgeber-Literatur an manchen Stellen heißt, dass sich die Süße in einer Speise nicht besonders gut mit einem gerbstoffreichen Wein verträgt, oder dass der Rauchgeschmack mit einem säurehaltigen Wein nicht gut zurechtkommt, müsste zunächst einmal geklärt sein, wie intensiv Rauch, Süße oder Säure in Essen oder Wein überhaupt vorkommen und wahrgenommen werden. Erst aus ihren Konzentrationen und Wahrnehmungsschwellen lässt sich ermitteln, ob sie miteinander harmonisch kombinierbar sind. Was natürlich eine vergebene Müh bleiben muss. Wir kochen ebenso unterschiedlich, wie wir schmecken.
Wenn es heute gerne heißt, dass sich zur scharfen asiatischen Küche restsüße Weine ganz besonders gut für eine gelungene Harmonie mit einer Speise eignen, ist das zunächst einmal deshalb schwierig, weil Asien der größte Kontinent dieser Erde und seine Kulinarik ebenso unterschiedlich wie vielfältig ist. Wer einmal einen originären »Hot Pot« aus Sichuan gegessen hat, wird schnell feststellen, dass die Weinauswahl ziemlich unwichtig wird, wenn es ums schiere Überleben geht. Wozu sich reichlich und gut gekühltes Bier weitaus besser zur kurzfristigen Linderung eignet als ein Schluck restsüßer Riesling von der Mosel. Dessen Geschmack vermutlich ohnehin kaum mehr wahrnehmbar sein wird. Um die authentische Schärfe eines solchen Gerichts auf ein erträgliches Maß zu mildern, ist ohnehin Wodka die allerbeste Wahl. Doch geht es dabei – wie gesagt – nicht um eine Harmonielehre, sondern ums nackte Überleben, im Endeffekt also um Bekömmlichkeit. Und es ist die Dosis, die ja bekanntlich das Gift macht.
Wird Fisch gegrillt, verändert er seinen aromatischen Charakter
So besagt etwa eine Regel, dass sich Bitterstoffe im Wein mit säurehaltigen Speisen (ebenso umgekehrt) nicht miteinander vertragen und einen unharmonischen Geschmack erzeugen würden. Für den bitteren Geschmack im Wein sind die sogenannten Tannine (Gerbstoffe) verantwortlich, die in allen Rotweinen und auch in vielen Weißweinen enthalten sind. Saucen kommen ganz ohne Säure meist recht fad daher. Dass es zu einer gelungenen Komposition kommt, hängt nicht so sehr davon ab, ob diese Komponenten in Speise oder Wein enthalten sind, sondern in welcher Konzentration.
Zu einem lax mit Essig und Öl marinierten Salat macht ein gerbstoffbetonter Bordeaux natürlich keine besonders schmackhafte Figur, während er sich mit jenen Saucen köstlich versteht, deren Säuregehalte hintergründig bleiben und eine zart-süßlich konzentrierte Würze innehaben. Der flapsige Spruch »Probieren geht über Studieren« bleibt auch bei der Vermählung von Speise und Wein einer der vorzüglichsten Ratschläge. Woran sich der Probierende und Studierende jedoch recht zuverlässig halten kann, ist die Garmethode, mit der er den Hauptbestandteil seiner Speise zubereitet.
Bei einem sanft pochierten Fisch etwa bleibt sein feiner Eigengeschmack weitestgehend erhalten, weshalb sich die Kombination mit einem zart-aromatischen Weißwein fast intuitiv anbietet. Wird ein Fisch jedoch gegrillt, verändert er auch seinen aromatischen Charakter. Rauch- und Röstnoten lassen ihn würziger und kräftiger schmecken. Dass jetzt auch ein im Holzfass ausgebauter Rotwein eine geeignete Wahl sein kann, ist nur logisch. Gleiches gilt für Fleisch und Gemüse: Je stärker sie mit Hitze und Rauch in Kontakt kommen, desto besser eignen sie sich zu kräftigen und würzigen Weinen.
Schmoren: je länger, desto intensiver der Geschmack
Das Schmoren wiederum steht für eine zeitintensive Garmethode, bei der vor allem beim Anbraten von Fleisch und Gemüse geschmacksverstärkende Röstaromen entstehen, die mit fortdauerndem Aufenthalt im Offenrohr allerdings aromatisch in den Hintergrund geraten, während sich der Geschmack der jeweiligen Zutaten immer weiter verstärkt und nach geraumen Stunden eine delikate Harmonie eingegangen sind. Ihre Delikatesse haben die meisten Schmorgerichte einer konzentrierten Sauce und dem Fleischgeschmack zu verdanken, das am Knochen gegart bestenfalls von selbigem fallen, jedenfalls immer von saftig-mürber Textur sein sollte.
Es braucht eigentlich nur einen gesunden kulinarischen Verstand, dass solch dichtem Geschmack nur ein entsprechend dichter Rotwein Paroli bieten kann. Ob dabei ein gerbstoffbetonter Barolo, ein dicker Barossa-Shiraz oder ein wuchtiger Ribera del Duero ins Glas kommt, hängt von der Art des Schmorgerichts genauso ab wie von den Vorlieben der Esser und Zecher.
Zuletzt ein Wort in eigener Sache: Da der Schlankheitswahn nun auch die Weinwelt erreicht hat, gelten vielerorts alkoholärmere und säuremarkante Weine als en vogue. Dass Säure im Wein und in Verbindung mit einem fettreichen Essen der Bekömmlichkeit nützlich sind, ist keine Neuigkeit. Da soll es auch mal eine süße Riesling-Spätlese mit strammer Säure, aber weniger als zehn Volumen Prozent Alkohol aus dem Rheingau sein, um den Gänsebraten mit Klößen und Rotkraut kongenial zu begleiten.
Es ist auch nichts Schlechtes daran, sich an dieser Kombination einmal auszuprobieren. Manchmal kommt es aber eben vor, dass man sich zu einem gelungenen Essen auch einen animierenden Rausch antrinken möchte, was mit einer alkoholschlanken und süßen Riesling-Spätlese bisweilen zu einer ebenso langwierigen wie letztlich auch geschmacklich mühsamen Prozedur geraten kann. Da lässt sich über Geschmack lange streiten, wenn es jedem von uns bei einem gemeinsamen Essen im Grunde doch darum geht, dass wir uns währenddessen, dazwischen und danach wohl aufgefunden fühlen. Das ist die Königsdisziplin der Kulinarik und der Harmonie von Speise und Wein.