Die Tage werden kälter und man trinkt wieder Weine mit mehr Charakter. Oder? Nicht ganz! Im Interview erklärt uns Sommelier Philipp Künemund (ja, so heißt er wirklich!) wie man sein Weinregal jetzt bestückt und ob man frische Weißweine auch im Winter trinken kann. Und wir lernen, was eigentlich Charakter und Struktur eines Weines ausmachen.
Macht es Sinn mit den kälteren Tagen auch das Weinregal neu zu bestücken?
Philipp Künemund: Bei den eisigen Temperaturen, die uns bevorstehen, werden tendenziell auch die Speisen auf dem Teller deftiger. Dementsprechend macht es natürlich schon auch Sinn im hauseigenen Weinregal verstärkter auf kräftige Weine zu setzen.
Was rätst Du jemandem, der jetzt Weine für die kalten Tage sucht?
Ein paar kräftige Rotweine sind ein guter Anfang. Hinter kräftigen Rotweinen verbergen sich beispielsweise Rebsorten wie Cabernet Sauvignon aus Südafrika, Syrah aus dem Rhônetal, Tempranillo aus Spanien oder auch Teroldego aus dem Trentino. Hierbei handelt es sich in der Regel um Weine mit viel Frucht und gleichzeitig wunderbar intensiven Gerbstoffen die vor allem zu wintertypischen Gerichten mit Wild und Lamm gut passen.
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Aber können wir im Winter auch einfach weiter unseren frischen Lieblings-Sommerwein trinken?
Natürlich könnt ihr das! Geschmack ist subjektiv und im Prinzip geht es doch in erster Linie um eins: Schmeckt mir der Wein oder schmeckt er mir nicht! „Je kräftiger das Gericht desto kräftiger sollte der Wein dazu sein“ ist lediglich eine nützliche Faustformel aber natürlich keine in Stein gemeißelte Regel.
Trotzdem: Ein Sommer lang voller immer nur "frischer und fruchtiger" Weine liegt hinter uns. Und mit kräftigen Rotweinen kommt doch endlich wieder mehr Charakter ins Glas oder?
Das würde ich so pauschal nicht sagen. Tendenziell werden zwar in den kalten Wintermonaten eher kräftigere Weine getrunken, allerdings bedeutet „kräftig“ nicht gleichzeitig auch „Charakter“ oder „Struktur“ im Wein. Das kommt schon auf den jeweiligen Wein an. Und ein Weißwein kann allemal genauso viel Charaker haben wie ein Rotwein!
Na gut, wieder was gelernt. Aber: Wofür stehen denn dann eigentlich die Worte "Charakter" und "Struktur"
Der "Charakter" ist eine allgemeine Beschreibung für den Geruch und den Geschmack eines Weines.
Wie beim Menschen auch, gibt es verschiedene "Charakterzüge" die ein Wein annehmen kann.
Die jeweiligen Charakterzüge hängen dabei von Eigenschaften und Gegebenheiten ab wie zB. Gebiet, Jahrgang, Bodentyp, Klima, Produzent, Ausbauart, Rebsorte, Alter der Rebstöcke, uvm. Diese verschiedenen Faktoren prägen einen Wein und somit auch dessen Charakter.
Die "Struktur" ist etwas spezifischer: Die hängt von den tragenden Säulen eines Weines ab. Diese sind hauptsächlich Säuren, Tannine, Restzucker, sowie der Alkoholgehalt. Auf vielfältige Art und Weise können sich diese Elemente gegenseitig unterstützen und positiv beeinflussen. Im Idealfall ergibt sich ein ausgewogenes bzw. harmonisches Verhältnis aller Bestandteile. Es kann jedoch auch das Gegenteil eintreffen: Eine Substanz dominiert zu stark und prägt den Wein in einer eher weniger vorteilhaften Art. Eine dominante Säure erzeugt beispielsweiße eine beißende Struktur, während fehlende Säure den Wein flach und alt wirken lässt. Unreife Gerbstoffe erzeugen einen grünen und herben Eindruck, während fehlende Gerbstoffe den Wein zu leicht oder gar belanglos wirken lassen können.