Weinkolumne von Paula Bosch: TOM LITWAN


 Tom Litwan

Der Aargau, ein wenig bekannter Weinkanton

Die Schweiz als Weinnation ist bei uns deutschen Weinfans bis heute immer noch nicht wirklich präsent. Was wir so kennen, geht leider oft nicht viel weiter über Fendant, Dole und vielleicht noch einen Merlot Ticino hinaus. Freilich haben wir als Weinliebhaber schon mal einen Wein aus dem Wallis oder einen Aigle vom Waadland getrunken, aber aus dem Aargau? Die Frage, wo dieser Kanton denn liegt, ist bei Weintrinkern durchaus berechtigt, denn für Weinanbau ist die Region außerhalb der Schweiz weniger bis gar nicht bekannt. Das mag auch daran liegen, dass gut 35% der Bevölkerung in der Industrie beschäftigt sind, damit liegt der Kanton an der Spitze des Landes. 

Der Aargau liegt im Norden der Deutschschweiz, auf der Zielgeraden Basel – Zürich, man fährt quasi mittendurch. Großflächige Reblandschaften wie in Graubünden oder am Genfer See sucht man vergeblich, weil die kleine Rebfläche mit etwas weniger als 400 Hektar im ganzen Aargau verstreut liegt. Interessanterweise war vor der Reblaus die Weinbaufläche des Aargaus größer als die des Wallis. Müller-Thurgau und Pinot Noir, hier auch als Blauburgunder bekannt, sind die Hauptdarsteller in der Szene. Eine Monokultur aus Rebstöcken ist weit und breit nicht zu sehen. Das variantenreiche Mikroklima in den versteckten Kleinstparzellen, in einzelnen Lagen hinter leichten Hügeln, oder in bewaldeten Flächen, spielt dabei eine bedeutende Rolle. Weinbau ist hier eher als Hobby- oder Nebenerwerb zu sehen und wirkt im Vergleich zu anderen berühmten Weinregionen wie dem Wallis (4822 ha) oder Waadland (3775 ha) marginal. Ortschaften wie Schinznach, Oberflachs und Thalheim im Schenkenbergertal sind für Weinanbau vermutlich erst bekannt, seit Tom Litwan hier sein Karma gefunden hat. Er scheut keine klimatischen Herausforderungen, im Gegenteil. Tom lebt mit dem Klimawandel und engagierte sich so auch nach und nach zur Ergänzung seines Lagenportfolios in kühlen Lagen in Elfingen, Oberhof und Wittnau. Klassifizierungen der Weinberge sind hier unbekannt.

Tom Litwan und sein Abenteuer

Der gelernte Maurer hat seine Freude am Wein in der französischen Gastronomie entwickelt, wo er eine Zeitlang in Chablis gearbeitet hat. Das Winzerhandwerk erlernte er aber deutlich später in der Schweiz in Genf auf der Domaine des Balisiers. Die Geheimnisse und Wissenschaft der Biodynamie, die er in dieser Zeit kennenlernte, liegen ihm ebenso am Herzen wie die Genetik der Rebstöcke, der sanfte Ausbau im Keller oder die nötige Reifezeit der Weine auf der Flasche. Für mich ist Tom Litwan aktuell einer der bemerkenswertesten Pinot Noir Produzenten. Sein Kleinstbetrieb, ich sage mal seine Winzerei, mit derzeit 5,5 Hektar Rebfläche in sechs verschiedenen Ortschaften, liegt im Herzen des Kanton Aargau. Die einzelnen Weinberge bewirtschaftet er im Pachtbetrieb mit kleinsten Erträgen von knapp 20 Hektoliter im Hektar. Das ergibt in der Gesamtmenge im Schnitt 10 000 Flaschen, 90% davon sind Pinot Noir, der Rest Chardonnay und Müller-Thurgau. 

2006 startete Litwan sein Abenteuer Wein im Aargauer Weinort Schinznach, im Schenkenbergertal, wo es mit die höchste Rebendichte des Kantons gibt. Der Begriff Abenteuer ist durchaus angebracht, denn er fing bei Null an und das Ziel liegt bei Hundert. Vor allen Dingen wenn es um die Qualität geht, das Finanzielle ist hier nachgeordnet. Er ist stets auf der Suche nach der besten Weinqualität - keine erstklassige, hochbewertete oder gelobte Flasche ist vor ihm sicher, er findet Wege und Möglichkeiten sie zu verkosten, um sich ein Bild davon zu machen, wie bester Pinot Noir oder Chardonnay schmeckt und seine Weine schmecken sollen, müssen. 

Die Namen der Weine sind die Flurnamen, also katasteramtlich eingetragene Bezeichnungen für die Riede, bei denen jede für sich eine ursprüngliche Bedeutung hat. Chalofe soviel wie Kalkofen, Rüeget bedeutet Rücken und Auf der Mauer bezeichnet den Weinberg, der von einer Mauer zum Schutz vor Wind und Kälte umgeben ist. Gemeinsam ist allen Climats der mergel- und tonreiche Jurakalkboden. Die kleinklimatischen Differenzen sind vermutlich für die deutlichen gustativen Unterschiede verantwortlich. 

Im angemieteten Keller, inzwischen in Oberhof, steht das nach und nach angeschaffte Equipment. Ausgebaut werden Chardonnay und die Pinots 12 Monate in Barriques aus bester Eiche, die jährlich mit einem kleinen Anteil Neuholz von einer Küferei aus Rully (Burgund) ergänzt werden. Nach Toms Aussagen erhalten seine Weine in diesen Fässern mit reduktiven Reaktionen Frische und Transparenz während des Fassausbaus.

Etwas mehr Spätburgunder / Pinot Noir

Pinot Noir steht unter den roten Rebsorten in der Schweiz an erster Stelle und ist dort auch unter dem Namen Blauburgunder bekannt. Angebaut wird er in allen sechs Weinregionen. Bei der Wahl des Standorts stellt der Spätburgunder, wie wir Deutschen den Pinot Noir nennen, hohe Ansprüche. Genetischen Untersuchungen zufolge handelt es sich bei ihm um eine natürliche Kreuzung aus Traminer und Schwarzriesling. Die Aussagen über seinen Ursprung weichen ab: in Burgund, genauer gesagt der Côte d’Or, wird die Rebe in ihren Anfängen schon ab dem 4.Jh. nachweisbar erwähnt. In der Schweiz wurde sie 1472 erstmals im Waadland unter dem Namen Servagnin erwähnt. Im Duft wie Geschmack ist die Sorte für viele Weinfreunde der Rotwein schlechthin, weil er alle Attribute eines perfekten Rotweins verkörpern kann. In der Farbe von hellem Rubinrot bis zu reifem Granat- und Ziegelrot. Im Duft ist seine sinnliche Note gleich einem Parfüm, dem man schwer widerstehen kann. Im Geschmack mit Tendenzen zu feinkörnigem Tannin, kernig straff bis samtig weich, leicht und frischfruchtig bis körperreich, tiefgründig, vollmundig und unvergleichlich fein. Ein leichter bis sehr komplizierter Trinkgenuss. Leicht gekühlt bei 14-16°C schmeckt er am besten, Barriquevarianten dekantieren. Ideal für helles und dunkles Geflügel, Coq au vin, Braten, Reh und Hirsch. Bei Fischen passt er zu vielen Lachsvarianten und Krustentieren. Vesperplatte, Fleisch und Fischterrinen, Fondue, Raclette, klassische Käseauswahl vom Brie bis reife Hartkäse.  

 Weine von Tom Litwan

DIE WEINE

(verkostet am 04. +05.02.2021)

 

2017 Pinot Noir, Elfingen Rüeget (zum Wein)

Rüeget bezieht sich auf eine U-förmige Einbuchtung im Hang, was übersetzt "Eselsrücken" bedeutet. Die Lage ist klimatisch noch eine Herausforderung durch die kalten Winde und permanente Frostgefahr. Das helle Johannisbeerrot ist für alle Pinots von Tom typisch. Ebenso ihr filigraner, feiner, nahezu zerbrechlich wirkender Körper. Im ersten Eindruck noch leicht reduktive und wilde Töne, welche sich mit Luft und Dekantieren aber verlieren. Eukalyptus und Minze wird von wilder Himbeere, Erdbeere, Pflaume und trockenen Rosenblättern begleitet. Im Mund mittelgewichtig, geschliffen, fein texturierter, seidiger Körper, aber mit Grip, zarter Säure und ebensolchen Tanninen. Leichte Süßholz-, Kakao-, Lakritzwürze. Delikates Trinkvergnügen für Pinotkenner.

2016 Pinot Noir, Elfingen Rüeget (zum Wein)

In der Farbe nur Nuancen dunkler als 2017. Der Duft präsentiert sich einen Touch reifer, schneller zugänglich. Ich denke spontan an Sauerkirschen, rote Grütze, Preiselbeere, rote Ribisel, Hagebutte, Eiche. Der Geschmack wirkt noch etwas frischer, jugendlicher, fordert mehr Zeit zur Entwicklung, daher unbedingt dekantieren. Sunrise-Tomatos, eingelegte, süße Pimentos finden sich in der kühlen Stilistik und würzigem Finale. Dieses erstaunliche Mittelgewicht, aus dem vom Frost angeschlagenen Jahrgang, ist mit seinem Duftpotpourri jetzt schon trinkbereit. Ich empfehle aber, kaufen und noch 2-3 Jahre abwarten für einen exzellenten Pinotgenuss.

2017 Pinot Noir, Thalheim Chalofe (zum Wein)

Chalofe steht für Kalkofen. Mergel und kalkhaltige Böden. Das Alter der Reben, jung bis zu 50 Jahren Helles karmesinrot, blitz-blank. Dieser Pinot zeichnet sich durch seinen frischen, fruchtigen und würzigen, teils aber immer noch reduktiven Duft aus. Himbeere, Süßkirsche, neben Granatapfel oder Hibiskusblüten. Im Mund präsentiert er sich üppig, zart im Schmelz, trocken mit saftiger Frische und Fruchtsäure, die mundwässernd zum Trinken animiert. Das seidige, feinkörnige Tannin ist engmaschig und von nobler Struktur, wenn auch noch mit Grip und Zug in der Länge. Im Gesamtbild ein strahlender Typ voller Eleganz und Sinnlichkeit. Im Nachklang ein großes Vergnügen.

2016 Pinot Noir, Thalheim Chalofe (zum Wein)

Das reife, transparente Sauerkirschrot zeigt am Glasrand leichtes Pinkrosa, das jetzt noch auf eine jugendliche, frische Charakteristik schließen lässt. Die erste Nase ist ein Beerenmix neben frischen Kräutern der Provence. Dezente blumige Töne, Lavendel, Nelken, Muskatblüten, kalter Rauch, Kaltgeräuchertes aus dem Kamin. Leicht salzige, mineralische Noten auf den Lippen. Der Körper wirkt seidig, fein strukturiert, hat viel Finesse, elegante, zurückhaltende Gerbstoffe mit ganz dezenter Reife im Anflug. Druckvoller Abschied im wiederum langen Nachklang. Schwerelos vereint dieser Pinot Komplexität mit Leichtigkeit in seinem beginnenden Trinkgenuss.

2017 Pinot Noir, Oberflachs Auf der Mauer (zum Wein)

Diese warme, trockene Parzelle, steil und terrassiert liegt im Schenkenbergertal. Ihr Name bezieht sich auf die Kalksteinmauer, die den Weinberg umgibt und in frostigen Jahren wie 2016 und 2017 als perfekter Wärmespeicher diente. Glasklares Himbeerrot mit leicht rosarotem Rand. Im ersten Eindruck finde ich spontan noch reduktive Töne, weshalb ich dekantiere. Nach zwei Stunden in der Karaffe erinnere ich mich an Preiselbeer- und Johannisbeersaft, Walderdbeeren. Zartbitterschokolade und frische Minze ergänzen die Fruchtnoten. Im Mund herrscht Einigkeit, alles ist am rechten Platz und so schmeckt der Wein einfach rund und harmonisch, ohne langweilig zu sein. Sein Schmelz wird ergänzt mit Biss, Zug und Spannung. Prägnante Fruchtsäuren, Komplexität und jugendliche Frische sind hier die Zauberformel für einen betörenden Pinot, der aber auch noch um Reife bettelt.

2015 Pinot Noir, Oberflachs Auf der Mauer (zum Wein)

Brillantes Rubinrot, lupenrein und strahlend mit dezentem Orange zum Rand. Dieser Pinot ist für mich so ein Wein - leider gibt es davon viel zu wenige - die beim ersten Schluck zum Trinken verführen konnten. Bei professionellen Proben wird gewöhnlich ja gespuckt und nicht geschluckt, hier konnte ich mich nicht beherrschen. Weine dieser Klasse trinke ich Glas für Glas, Flasche für Flasche, Genuss ohne Reue! Der herrlich reife, dennoch frische, rotbeerige, kirschige Duft wird von blumigen Noten, frischen Gartenkräutern, aber auch Lakritze begleitet. Im Mund stimmt einfach alles, eine präsente Säure ist stringent, aber reif, die süßlichen Tannine sind zahlreich und jetzt von samtiger Natur. Eine mundfüllende, weite Textur mit seidigem Charakter wird ergänzt vom perfektem Süße– Säure- Spiel. Harmonie pur, ein perfektes Trinkvergnügen, das mich an große Pinots, auch aus Burgund erinnert.

 

Tom ist seinem Ziel, immer besser und noch besser zu werden, damit schon sehr nahe gerückt und stellt unter Beweis, dass er einer der talentiertesten Pinot–Macher der Schweiz ist. Den Olymp des Pinot Noirs / Spätburgunders mit jedem Jahrgang zu erreichen, ist sein hehres Ziel. Go Tommy, go!

Paula Bosch

Foto: ©Femma.M.Soetemann 

 

PAULA BOSCH (Webseite)

Mehr als fünfzehn Jahre ist die erfolgreichste Sommelière Deutschlands auch Weinbuch Bestseller-Autorin. Sie verfasste für das Magazin der Süddeutschen Zeitung jahrelange die wöchentliche Weinkolumne. Als Weinexpertin ist sie international anerkannt. Ach was, sie ist mehr: Paula Bosch ist ein Star – sie ist Kult!